In unserer Studie haben wir sechs Typen der deutschen Bevölkerung identifiziert, die sich voneinander durch eine für sie charakteristische Sichtweise auf die Gesellschaft abgrenzen.
Die Offenen sind der zweitjüngste Typ in der deutschen Gesellschaft. Sie ziehen ihr Lebensgefühl aus der freien Entfaltung des Einzelnen in einer vielfältigen, offenen und nachhaltigen Gesellschaft und hinterfragen traditionelle Denkweisen besonders kritisch.
Sie denken in jeder Hinsicht antiautoritär, schätzen Freiheit und lehnen dafür Hierarchie, Gehorsam und bedingungslose Loyalität ab. Ihre persönliche Identität kommt weitgehend ohne althergebrachte Gruppenbezüge aus, vor allem die eigene Nationalität stellt man hintenan. Hingegen definiert man sich vergleichsweise stark über den eigenen (hohen) Bildungsgrad und die politischen Überzeugungen.
Hinsichtlich des eigenen Lebens ist das Glas für die Offenen halb voll. Zwar ist man eigentlich nur leicht überdurchschnittlich zufrieden mit der eigenen Lage, hat aber ausgesprochen großen Zukunftsoptimismus und rechnet oft mit Aufstieg und persönlichem Fortkommen. Das soziale Umfeld ist in der Tendenz intakt. Man fühlt sich gut eingebunden und wertgeschätzt.
Sofern man Stolz auf das eigene Land überhaupt als legitimes Gefühl zulässt, beruft man sich auf demokratische und rechtsstaatliche Errungenschaften, die NS-Aufarbeitung sowie auf progressive Motive wie die Aufnahme von Asylbewerbern. Ohnehin fühlt man sich meist mindestens so europäisch wie deutsch. Gesellschaftlichen Wandel begrüßt man ausdrücklich.
Viele der Offenen positionieren sich im politischen Spektrum links. Sie sind politisch eher interessiert, als mündige Bürger mit der repräsentativen Demokratie weitgehend im Reinen und fühlen sich insbesondere der Zivilgesellschaft verbunden.
Zugleich blickt man mit Vorsicht auf die derzeitige Entwicklung des Landes. Man fürchtet zunehmende Ausländerfeindlichkeit und sieht autoritäre Bedrohungspotenziale für die Demokratie und die offene Gesellschaft. Passend zu ihrem pluralistischen Gesellschaftsverständnis setzen die Offenen auf friedlichen Meinungsaustausch sowie Kompromiss- und Diskursfähigkeit, haben aber stärker als andere Vorstellungen davon, was sagbar ist und was nicht, um Minderheiten vor Diskriminierung zu schützen.
Die Offenen sind häufiger in West- als in Ostdeutschland wohnhaft. Ihr Bildungsniveau ist das höchste aller Typen, vor allem Akademiker sind weit überrepräsentiert. Sie verteilen sich recht gleichmäßig über Stadt und Land, mit nur leicht urbaner Tendenz. Obwohl ihr subjektiver Sozialstatus insgesamt recht ausgeglichen ist, verfügen die Offenen über den höchsten Anteil an Spitzenverdienern.
Charakteristisch für die Involvierten ist vor allem ihr großer Glaube an das bürgerschaftliche Potenzial der Menschen in der Bundesrepublik, ihr demokratisches Selbstbewusstsein und ihre Zuversicht, dass ein lebendiges Miteinander in einer modernen Gesellschaft möglich ist.
Die Involvierten identifizieren sich mehr als andere mit den gewachsenen Errungenschaften des freien und sozialen Rechtsstaats. Sie stehen hinter der repräsentativen Demokratie und schätzen ihre Institutionen genauso wie eine vielfältige Zivilgesellschaft. Von „starken Männern“ halten sie dagegen nicht viel. Als überzeugte und interessierte Demokraten suchen sie häufiger als andere das politische Gespräch.
Gesellschaftlicher Wandel ist für sie ein natürlicher und zu gestaltender Prozess, der sie nicht verängstigt. Ihre Erwartung für die kommenden Jahre ist daher positiv, aber zugleich von stetigem Nachdenken über Herausforderungen entlang des Weges geprägt.
Die Involvierten denken weitgehend anti-autoritär, bestehen aber auf Verbindlichkeit und Respekt. Für ihr Selbstbild kommen sie Großteils ohne traditionelle und gruppenbezogene Fixpunkte aus, für sie ist es auch kein Widerspruch, sich zugleich deutsch und europäisch zu fühlen. Das Deutschland, auf das sie stolz sein können, ist fest in Europa verankert und steht zu seiner Verantwortung nach innen und außen, indem es sich z.B. kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzt und Hilfesuchenden Schutz bietet. Menschenfeindlichkeit und Ressentiment lehnen die Involvierten entschieden ab. Politisch haben sie ein gemäßigt progressives Profil.
Mit ihrem persönlichen Leben sind die Involvierten in großem Maße zufrieden. Abstiegsängste sind kaum Thema, man hat das Schicksal selbst in der Hand. Auf der Habenseite kommt hinzu, dass sie ihren Mitmenschen stärker vertrauen können und wollen als alle anderen gesellschaftliche Typen. Sie sind in sehr hohem Maße eingebunden, fühlen sich nahezu geschlossen sicher, wohl und wertgeschätzt.
Dieses intakte Bild aus dem sozialen Nahbereich wünschen sich die Involvierten auch für die gesellschaftliche Ebene. Sie betonen stark die Notwendigkeit von Zusammenhalt und Kompromissfähigkeit und sind besonders sensibel gegenüber Hass und Feindseligkeit. Ihr bürgerschaftliches Ideal lebt von funktionierenden und konstruktiven Debatten.
Die Etablierten haben mit Abstand das höchste Alter der sechs gesellschaftlichen Typen und stechen vor allem durch ihre große Zufriedenheit heraus. Sie haben einen nahezu ungetrübten Blick auf die eigene Lebenswirklichkeit und ungebrochenes Zutrauen in das Gemeinwesen und seine Institutionen.
Aus ihrer Perspektive ist Deutschland weiterhin in die richtige Richtung unterwegs und sie erwarten auch für die nächsten Jahre wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität.
Die Etablierten sind weitgehend zuversichtlich, dass Politik und Zivilgesellschaft ihre Arbeit ordentlich machen, auf Bürgerinnen und Bürger hören und gute Ergebnisse produzieren. Sie interessieren sich mehr als andere für Politik und finden sich in den Kategorien des Parteienwettstreits sehr gut zurecht. Ideologisch stehen die Etablierten deutlich in der Mitte des politischen Spektrums, auch wenn sie ansonsten eher wertkonservativ sind.
Auf ihr Land sind die Etablierten unumwunden stolz. Eine breite Mischung aus eher kulturell-konservativen, sozialen, wirtschaftlichen und progressiven Identifikationspunkten bildet die Grundlage für ihr äußerst positives Deutschlandbild. Auch ihre eigene persönliche Identität ist stabil: man schöpft Selbstbewusstsein aus den verschiedensten Quellen und Zugehörigkeiten, im Vergleich zu anderen besonders stark aus Nationalität und Religion.
Moralische Grundsätze sind für die Etablierten äußerst wichtig, denn das Miteinander der Menschen soll anständig ablaufen. Aus alter Schule neigt man zu weitgehend autoritären Einstellungen in Erziehungsfragen, ist aber deshalb nicht menschenfeindlicher als andere. Allerdings hält man vermehrt das heutige Ausmaß von Political Correctness für übertrieben.
In ihrem persönlichen Leben kommen die Etablierten bestens zurecht. Man lebt komfortabel, weiß, dass man zur oberen Gesellschaftshälfte gehört, rechnet mit einer stabilen oder gar noch besseren Zukunft und hat sein Leben weitgehend unter Kontrolle. In ihrem Umfeld fühlen sie sich bestens aufgehoben. Man weiß, wo man hingehört und wem man vertraut.
In diesem Sinne glauben die Etablierten auch innerhalb der Gesellschaft an die Möglichkeit von Ausgleich und Zusammenhalt. Sie sind davon überzeugt, dass Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliche Handlungsmacht und Eigenverantwortlichkeit haben, und es liegt ihnen am Herzen, dass Menschen trotz aller Unterschiede auch weiterhin zusammenfinden.
Die Pragmatischen sind die jüngsten der sechs gesellschaftlichen Typen und denken weniger als andere in Werten und moralischen Grundsätzen. Sie haben schwächere Identitätsanker und treten dem Gemeinwesen mit einer gewissen normativen Vagheit gegenüber.
Ihr Blick auf die Gesellschaft ist in erster Linie nutzenorientiert. Ihr ideales Deutschland soll erfolgreich, modern und selbstbewusst sein, um den Menschen gute Ausgangsbedingungen für ihr persönliches Fortkommen zu bieten. Dazu passt, dass sie kaum Aspekte des Landes finden, auf die sie besonders stolz sein können.
Entsprechend haben die Pragmatischen auch kein emotionales, sondern ein eher funktionales Verhältnis zum politischen System. Man hofft darauf, dass es gute Rahmenbedingungen und Ergebnisse liefert, während man sich selbst nur wenig aktiv für demokratische Prozesse interessiert. Man fremdelt mit den traditionellen Kategorien des politischen Spektrums und ist politisch nicht wirklich nach links oder rechts orientiert.
Zugleich bietet ihre wahrgenommene Lebenswirklichkeit durchaus Ansatzpunkte für politische Gestaltungsfragen. So fühlen sich die Pragmatischen nicht unbedingt in Kontrolle über ihr Leben: Zukunftsfragen wie die Digitalisierung verunsichern, man sieht gesteigerten Handlungsbedarf besonders in praktischen Politikbereichen wie der Lohn- und der Familienpolitik.
Auch die soziale und kulturelle Einbindung der Pragmatischen ist bestenfalls durchwachsen: Sie haben am seltensten ein intaktes Umfeld, Gefühle von Einsamkeit sind weit verbreitet. Die jungen Menschen, von denen viele Migrationshintergrund besitzen, wissen zudem am seltensten, wo sie zuhause sind bzw. hingehören. Ihre Identität schwankt zwischen deutsch und europäisch. Man fühlt sich zudem häufig von anderen verachtet.
Aus der beschriebenen Norm- und Gesellschaftsferne folgt zuletzt auch ein distanzierter Blick auf Fragen des Zusammenhalts. Man glaubt seltener an die guten Absichten der allermeisten Menschen und hat keine ausgeprägte Sensibilität für die Bedeutung von Ausgleich und Kompromiss.
Die Pragmatischen verorten sich häufig auf einem mittleren Status innerhalb der Gesellschaft. Auch ihr Bildungsprofil ist in der Tendenz durchschnittlich. Als jüngster Typ sind sie besonders häufig vollzeiterwerbstätig.
Die Enttäuschten sind der gesellschaftliche Typ, der derzeit in der deutschen Gesellschaft am wenigsten positiven Halt findet. Der Blick auf die persönliche Lage ist oftmals von Entbehrung und Abstiegsangst geprägt, der Glaube an die Kontrolle über das eigene Leben sehr schwach.
Auch in ihrem menschlichen Umfeld fehlt es den Enttäuschten an Einbindung und Wertschätzung. Das Gefühl, einsam zu sein, ist sehr weit verbreitet. Darunter leidet ihr Sozialvertrauen. Die Enttäuschten unterstellen vielen Egoismus und ziehen darum auch jede Chance auf echten gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zweifel.
Dies setzt sich bei der Einschätzung der eigenen Identität fort. Alle Bezugspunkte, die bei anderen starke Identitätswirkung entfalten (wie etwa Generation, soziale Schicht, Nationalität, Beruf), haben bei den Enttäuschten deutlich weniger Bedeutung. Auch religiöse Bindungen sind bei ihnen deutlich schwächer als beim Rest der Bevölkerung.
Auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene wünschen sich die Enttäuschten in erster Linie ein gerechtes Land. Man möchte auf ein verlässliches Gemeinwesen zählen können. Diese Erwartung wird jedoch nicht bedient. Man fühlt sich von der Politik überhört, nicht gesehen, vernachlässigt und in Sachen Kriminalität unzureichend geschützt. So sieht man das Land fast einhellig auf dem Weg in die falsche Richtung. Entsprechend fällt die Demokratiezufriedenheit sehr gering aus. Man bringt sich kaum politisch ein und kann mit dem Parteienwettbewerb meist nichts anfangen.
Angesichts der eigenen Unzufriedenheit tut man sich schwer, nach außen offen zu sein. Zwar sind die Enttäuschten nicht exzessiv autoritär, fühlen sich aber durch die Weltläufe bedroht. Man denkt eher in den Grenzen des Nationalstaats, fühlt sich eher deutsch als europäisch. Gegenüber neuen kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen bleibt man reserviert und moniert, dass Minderheiten und Migranten gegenüber der Mehrheitsbevölkerung bevorzugt würden, während man selbst für seine (meist niedrige) soziale Schicht sowie die (meist gering entlohnte) Arbeit und die (häufig einfachere) Bildung verachtet werde.
Die Wütenden gehen am heftigsten mit dem derzeitigen Zustand der deutschen Gesellschaft ins Gericht. Pessimismus, Empörung und massive Unzufriedenheit prägen fast ausnahmslos ihren Blick auf die Politik und das gesellschaftliche Miteinander.
Ihr Ideal eines nationalen und zum Wohle des Volkes halb autoritär, halb plebiszitär geführten Landes wird in ihren Augen durch eine abgehobene politische und mediale Elite durchkreuzt, die sich in multikulturellen Fantasien verirrt.
Die Wütenden beklagen, dass sich die Politik grundsätzlich um Neuankömmlinge und Minderheiten mehr kümmere als um die „eigenen Leute“ in der Mehrheitsbevölkerung. Nicht zuletzt deshalb fühlen sich die Wütenden fast geschlossen fremd im eigenen Land. Sie empfinden am häufigsten Bedrohungsgefühle und dass die Welt zu einem immer gefährlicheren Ort wird. Mit der derzeitigen Demokratie sind sie im höchsten Maße unzufrieden, Medien und Institutionen trauen sie nicht. Political Correctness wird ihres Erachtens völlig übertrieben und diene ihrer Ansicht nach dazu, das Volk mundtot zu machen.
Zugleich wissen die Wütenden sehr genau, wer sie sind und was sie wollen. Sie berufen sich sehr stark auf ihre Identität und finden dafür unterschiedliche Anknüpfungspunkte (u.a. Nationalität, Generation, politische Auffassungen, Geschlecht). Sie wissen außerdem sehr gut, wo sie sich zu Hause fühlen.
Ungeachtet ihrer Schelte des politischen Systems interessieren sie sich häufig mit großem Nachdruck für Politik und können sich im ideologischen Spektrum klar verorten. Häufiger als andere stehen sie deutlich rechts. Um ihren Ansichten Geltung zu verschaffen, setzen sie auf Durchsetzung und Kompromisslosigkeit. Im Gegenzug neigen sie dazu, andere Gruppen, wie Flüchtlinge und Muslime, stark abzuwerten. Fast geschlossen sind sie der Meinung, dass der Islam und die deutsche Gesellschaft nicht miteinander vereinbar sind.
Mit dem eigenen Leben ist man häufiger als andere unzufrieden, fühlt sich in seinem Alltag fremdbestimmt und blickt skeptisch auf die nächsten Jahre. Gegenüber den Mitmenschen sind die Wütenden skeptischer als alle anderen Typen. Ihr Sozialvertrauen ist sehr gering. Sie beklagen mangelnde soziale Einbindung und menschliche Wertschätzung. Obwohl ihre Einkommen weitgehend im Durchschnitt liegen, neigen sie eher dazu, sich in der unteren Gesellschaftshälfte zu verorten.